Real Talk mit Manfred Forst zur Vision ‚Das papierlose Büro‘

Wir sprechen mit Manfred Forst, einem der führenden Experten in Sachen „papierloses Büro“. Mit über 25 Jahren Erfahrung gehört sein Unternehmen, die DMSFACTORY, zu den Spezialisten in Sachen Digitalisierung dokumenten-, daten- und informationsgetriebener Prozesse im deutschsprachigen Raum.

red. Herr Forst, Sie sind bereits seit den 90ern in Ihrem Business. Waren Themen wie das papierlose Büro schon vor der Jahrtausendwende relevant?

Forst. Vom Inhalt und der grundlegenden Idee her ja, sie wurden allerdings nicht so bezeichnet. Vor der Jahrtausendwende standen die Ideen der sicheren Ablage und der einfachen Auffindbarkeit von papierhaften Unterlagen in digitaler Form im Vordergrund, weniger die Vermeidung von Papier im Büro oder ihm Rahmen der täglichen Prozesse. Vor allem die Einsparung von unnützem Zeitaufwand für die Suche war ein wichtiges Kriterium. Von Workflows, also den digitalen Prozessen, oder inhaltlicher Erschließung der Dokumente war zu dieser Zeit kaum die Rede. Interessanterweise wurden damals nach der erfolgreichen Suche der Dokumente diese dann wieder zur weiteren Bearbeitung ausgedruckt.

red. Seit wann würden Sie sagen hat der Trend zum papierlosen Büro wirklich Fahrt aufgenommen?

Forst. Das Schlagwort „papierloses Büro“ ist schon seit einigen Jahren sichtbar, allerdings ohne konsequente Umsetzung. Die Systementwicklung vom einfachen elektronischen Archiv über Dokumenten-Management-Systeme (DMS) mit Workflows hin zu Enterprise-Content-Management-Systemen (ECM) haben Stück für Stück die in Unternehmen stattfindenden dokumentengetriebenen Prozesse digitalisiert. Es waren aber lange Zeit noch Medienbrüche wie das Ausdrucken von Dokumenten zur Weiterbearbeitung üblich, die nach der Bearbeitung dann erneut eingescannt wurden.

Richtig Fahrt aufgenommen hat die Umsetzung der Idee zum digitalen Büro meiner Ansicht nach erst vor drei bis vier Jahren. Verstärkt wurde der Trend durch die aktuelle Pandemie, die die Arbeit im Homeoffice erfordert hat, was mit papierbasierten Dokumenten unmöglich ist.

red. Gerade kreative Zeitgenossen lieben Pin und/oder Metaplan-Wand bzw. Flipchart. Der Prozess des handschriftlichen Skizzierens und Schreibens hat erwiesen sogar eine haptische Kreativ-Dimension. Muss das alles sterben?

Forst. Absolut nicht. Wer weiterhin mit Kollegen oder Kolleginnen am Flipchart oder Whiteboard arbeiten will, der macht dieses auch in den Zeiten des papierlosen Büros, fotografiert die Ergebnisse mit dem Smartphone und stellt dann die Fotos den anderen in digitaler Form zur Verfügung. Zum Beispiel in elektronischen Akten, in denen sie über die entsprechenden Workflows auch digital weiterverarbeitet werden können. Wer alleine arbeitet erstellt seine Skizzen oder handschriftlichen Bemerkungen auf Touch-Devices wie iPad und Co. oder entsprechenden Boards ohne Medienbruch. Und die Generation Y ist sowieso gewohnt, die entsprechenden Programme für ihre Kreativität zu verwenden. Für viele von ihnen sind Flip-Charts ein Relikt aus uralten Zeiten.

red. Was sagen Sie Menschen, die gerne handschriftlich und auf Papier „denken“?

Forst. Das „papierlose Büro“ ist kein Absolutismus. Schwarz – Weiß Denken ist unangebracht und es gibt sicherlich nicht die eine Wahrheit. Mein Rat an diese Mitmenschen ist: probiert es aus, ob die Tastatur den Stift nicht auch beim Denken ersetzen oder ergänzen kann. Ich selbst bin das beste Beispiel dafür, denn meine Kreativität und Performance hat sich enorm gesteigert, seitdem ich meine Notizen und Schriftstücke digital verfasse. Ich kann sie einfach anpassen, ändern und einzelne Sätze in eine neue Reihenfolge bringen, bis das Dokument fertig ist.

red. Den Faktoren Verfügbarkeit, Dokumenten-Management und Archivierung steht die komplette Abhängigkeit von Bits & Bytes gegenüber. Ist das ein Problem?

Forst. Nur dann, wenn Sie mit den Umgebungsparametern fahrlässig umgehen. Die Systeme und die Aufbewahrung der Daten müssen natürlich den bekannten Zugriffs- und Sicherungsverfahren unterliegen. Äquivalent würden Sie Ihr Papierarchiv ja auch nicht in überschwemmungsgefährdeten Kellerräumen unterbringen, sondern in einer Umgebung, in der die Unterlagen bestmöglich vor dem Verlust geschützt sind.

Das papierlose Büro hat bei Beachtung der genannten Bedingungen aber auch entscheidende Vorteile: sollten mal die Systeme oder Daten durch Außeneinflüsse zerstört werden, sind sie nicht verloren, sondern können mit der entsprechenden Datensicherung wieder aufgebaut werden.

red. Ab welcher Größenordnung Unternehmen wird das papierlose Büro aus Ihrer Sicht obligatorisch?

Forst. Wenn ich das „papierlose Büro“ als eine Arbeitsumgebung definiere, in der kein oder wenig Papier produziert wird, dann sicherlich schon für Unternehmen mit wenigen Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen. Dringend zu empfehlen ist eine Umstellung zum papierlosen Büro dann, wenn komplexere Abläufe die tägliche Arbeit prägen, wenn unterschiedliche Systeme oder Programme miteinander reden müssen, wenn Unterlagen durch mehrere Abteilungen gehen müssen oder wenn – wie aktuell – die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Homeoffice arbeiten, und das unabhängig davon, in welchem Ausmaß.

red. Der Weg zur Papierlosigkeit zwingt einen förmlich dazu, sich im Detail mit unternehmensinternen Prozessen auseinander setzen. Ist das Mentoring hier ein zentraler Aspekt Ihrer eigenen Wertschöpfung?

Forst. Ja, auf jeden Fall. Einer meiner Lieblingssätze ist: „was ohne Digitalisierung nicht geht, geht mit Digitalisierung auch nicht, nur schneller“. Bedeutet, dass bei der Umstellung der gewohnten Abläufe auf digitale Prozesse immer die Sinnhaftigkeit der einzelnen Prozessschritte betrachtet werden muss, also hinterfragt werden muss, ob genau dieser Schritt an dieser Stelle zu diesem Zeitpunkt Sinn ergibt. In den ersten Gesprächen zur Umsetzung einer Lösung fordern uns unsere Kunden direkt auf, das Mentoring für die umzusetzenden Prozesse zu übernehmen. Wir sehen als „Außenstehende“ sicherlich die eine oder andere Chance und das Potential, etwas anders zu machen, damit es anschließend schneller, besser und sicherer wird.

red. Sie sprechen bei Ihren Lösungen von Produkt-Neutralität? Ist das wirklich gewährleistet? Hat man als erfahrener Anbieter nicht auch gewachsene Partnerschaften?

Forst. Ja, natürlich gibt es auch gewachsene Partnerschaften. Diese hindern uns aber nicht daran, jedes Jahr aufs Neue ein Benchmarking des Anbieter-Marktes auf der Grundlage der jeweils aktuellen Trends in der Branche durchzuführen. Das Ergebnis des Benchmarkings ermitteln wir unter anderem aus der Qualität und Modernität der angebotenen Systeme, der verwendeten Techniken, der Qualität des Second-Level-Supports des Herstellers, den Preisen für die Lösungen und so weiter. Im Übrigen testen wir die Lösungen möglicher neuer Partner sehr intensiv auf eigenen Systemen, damit wir all ihre Stärken und auch Schwächen kennen und genau wissen, bei welchen Anwendungsfällen wir sie einsetzen können.

Die besten zwei oder drei Hersteller nehmen wir dann als Lieferanten auf und bilden unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus, bevor wir anschließend mit unserem Marketing und Sales starten und die Lösung bekannt machen.

Das ganze Verfahren hat genau ein Ziel: wir wollen fehlerfrei laufende Systeme bei zufriedenen Kunden in einem hart umkämpften Markt langfristig betreiben. Und das geht nicht, wenn Sie Banana-Ware liefern.

red. Stellen Sie vor bzw. nach Projekten Amortisations-Berechnungen an? Wenn ja, was sind die Parameter?

Forst. Meist wird die Frage nach der Amortisation, also dem Break-Even der Investition, noch vor der Entscheidung zur Investition gestellt. Hier fließen verschiedene Parameter ein, die über die reinen Lizenz- oder Hardwarekosten bei der Einführung einer Lösung hinausgehen. Also zum Beispiel die Aufwände für den Entwurf von Workflows, der Einrichtung der KI zur Erfassung von Metadaten beim Scannen oder die Einrichtung des gesamten Systems auf Basis der Anforderungen sämtlicher Nutzenden. Natürlich stellt sich bei der Berechnung der Amortisation auch die Frage, was betrachtet werden soll: die Umsetzung des ersten Anwendungsfalls, der mit der Lösung umgesetzt wird, oder das komplette Szenario?

red. Die Vertrauens-Hürde ist im Vorfeld von Aufträgen sicher sehr hoch. Man muss Sie in das Herz des eigenen Business lassen. Wie nehmen Sie Ängste bei potenziellen Neukunden?

Forst. Indem wir als Lösungsarchitekten mit den Interessenten zusammenarbeiten. Wir müssen das Business unseres potenziellen Neukunden kennenlernen. Er muss uns, unseren Lösungsansatz und unsere Methoden kennenlernen, und das ohne bzw. mit geringem finanziellen Risiko. Der erste Schritt der gemeinsamen Arbeit ist unser „Starter-Workshop“ mit einem Aufwand von üblicherweise drei Tagen. Zuerst präzisiert unser Interessent die Anforderungen seines Business an die Lösung, dann stellen wir die Funktionalität unserer Lösung am lebenden System vor. Anschließend gehen wir in die Diskussion über den besten Weg zur Realisierung und fassen dann das Gelernte in einer übersichtlichen Lösungsskizze zusammen. Diese dient dann der genaueren Preisermittlung für unser Angebot und bildet die Basis für die Umsetzung.

red. Haben Sie unterschiedliche Angebote bzw. Pakete? Oder anders: kann man quasi light, classic oder hardcore einsteigen in die Papierlosigkeit?

Forst. Ja, natürlich. Unsere Angebote richten sich nach den Anforderungen unserer Kunden. Manche unserer Kunden wollen ein „Rundum-Sorglos-Paket“, bei dem wir alle Leistungen bis hin zur „Schlüsselübergabe“, also des Starts der Anwendung im Unternehmen, und inklusive individueller Schulungen erbringen. Andere brauchen neben der Lieferung und Grundinstallation der Software lediglich Beratung und Betreuung bei der Einrichtung der Lösung, die sie dann selber vornehmen. Unsere Service-Pakete nach Inbetriebnahme der Lösung sind genau auf diese unterschiedlichen Anforderungen ausgerichtet.

red. In welcher Branche bewirken Sie den meisten – wie man neudeutsch sagt – Impact?

Forst. Wir sind branchenübergreifend unterwegs. Sicherlich haben Bau und Handwerk, Finanzdienstleister, Retailer und EVUs einen erheblichen Anteil an unserem Erfolg. Ich möchte andere aber nicht ausschließen. Was interessant zu beobachten ist, dass aktuell vermehrt die sogenannten Publics Bedarf anmelden, eine Branche, die bisher eher konservativ geprägt ist und noch zum Großteil ausschließlich auf die Arbeit mit Papier setzt.

red. Pareto-Prinzip: welches sind Ihre Top-20-Prozent Kunden, Stichworte Branche, Umsatz, Mitarbeiterzahl?

Forst: Unser kleinster Kunde hat knapp über 10 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, unser größter Kunde mehr als 5000.

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich hier über die Namen unserer Kunden, deren Umsatz oder deren Branche aus Vertraulichkeitsgründen nichts sagen darf. Die Kunden, die uns erlauben ihre Success-Story zu berichten, finden Sie mit ausführlichen Artikeln auf unserer Webseite.

red. Gestatten Sie drei persönliche Fragen?

Forst. Ja, natürlich.

red. Welches Buch liegt aktuell auf Ihrem Nachttisch?

Forst. Ich komme viel zu selten zum Lesen. Als bekennender Handball-Fan der Füchse Berlin lese ich zurzeit „Bob Hanning: Hanning. Macht. Handball“. Leichte Kost, aber kurzweilig.

red. Wenn Sie auf einer Skala von null bis zehn persönliche Eigenschaften beziffern müssten, welche Kennzahlen hätten a) Offenheit b) Gewissenhaftigkeit c) Extraversion

Forst. Offenheit – 7 … Gewissenhaftigkeit – 11 … Extraversion-8 (ohne die leichtfertige Komponente *schmunzelt*)

red. Gibt es eine historische Gestalt, die Sie bewundern?

Forst. Im nicht-politischem Umfeld: Leonardo da Vinci. Er war ein Vordenker und Universalgenie seiner Zeit, ein Allrounder, für den es nichts Unmögliches gab.

red. Zum Abschluss: Haben Sie ein Lebensmotto und wenn ja wie lautet es?

Forst. Nicht probiert ist schon verloren – mach es. Jetzt.

red. Herr Forst, herzlichen Dank für das Interview.

Forst. Sehr gerne, vielen Dank!

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