Wir sprechen mit Anne-Charlotte Vuccino, der Autorin von „Yoga im Büro“ und Gründerin des französischen Start-ups YOGIST- Well At Work. Die ehemalige Unternehmensberaterin und Absolventin einer der renommiertesten Business Schools Frankreichs entdeckte Yoga für sich nach einem schweren Verkehrsunfall. Nach dieser einschneidenden Erfahrung und der Wirkung des Yoga-Lifestyles auf das Wohlbefinden entwickelte sie ihre eigene Methodik, die sie YOGIST- Well At Work taufte. Seitdem sieht sie es als ihre Aufgabe an, Menschen bei der Stressbewältigung im Alltag und im Berufsleben mit der Yogamethode zu helfen.
red. Frau Vuccino, was ist Yoga nach Ihrer Definition?
Vuccino. Für mich ist Yoga eine Bewegungs- und Atemdisziplin, die moderne, westliche Arbeitnehmer dringend brauchen, um im digitalen Zeitalter gesund und schmerzfrei am Arbeitsplatz zu bleiben. Der sitzende Lebensstil macht den meisten von uns zu schaffen, vor allem seit der Covid-Krise, doch unser Geist und unser Körper sind überhaupt nicht dafür geschaffen, den ganzen Tag vor einem oder mehreren Bildschirmen zu sitzen. Wir verbringen die meiste Zeit unseres wachen Lebens mit der Arbeit: Das ist der Zeitpunkt, an dem wir Yoga praktizieren sollten. Während wir arbeiten, nicht in der Mittagspause oder an den Wochenenden. Experten empfehlen, sich zu bewegen und mindestens alle 20 Minuten eine geistige oder körperliche Pause einzulegen!
red. Warum verwenden wir diese sehr alte Technik oder Philosophie; gibt es in der westlichen Welt nicht ähnliche Ansätze?
Vuccino. Um genau zu sein, ist Yoga eine sehr alte Praxis, aber seine unglaubliche Entwicklung in den letzten 30 Jahren hat uns eine modernere Version gebracht. Das Yoga, das wir kennen, ist nicht das „alte“ Yoga. Es ist bereits modernisiert und verwestlicht worden und ähnelt manchmal eher einer Fitnesspraxis als einer spirituellen Praxis. Dennoch ist Yoga für einige ernsthafte, gestresste und schnelllebige Arbeiter und Führungskräfte immer noch zu „New Age“ oder „esoterisch“, um ernst genommen zu werden, zu schweißtreibend oder sportlich, oder zu „still“ oder langweilig für andere… Kurz gesagt, diejenigen, die Yoga am meisten brauchen, sind diejenigen, die es nicht einmal in Erwägung ziehen, es zu versuchen. Deshalb habe ich daran gearbeitet, eine Methode für Unternehmen zu entwickeln, die auf alle Arbeitsplätze und Berufe zugeschnitten werden kann und die jeder an seinem Schreibtisch praktizieren kann, ohne sich lächerlich zu machen: keine Ausrüstung, keine Sportkleidung… und keine Chakren!
red. Wie kommt es, dass Sie eine neue Methode entwickelt haben, die Sie den yogistischen Lebensstil nennen?
Vuccino. Als Student der Wirtschaftswissenschaften habe ich ein humanitäres Projekt in Afrika geleitet. In Benin wurde ich von einem Motorrad angefahren, wobei ich mir mehrere Infektionen am Bein zuzog und es fast amputiert werden musste. Das war ein Wendepunkt für mich, denn mein Wunsch, in Entwicklungsländern Karriere zu machen, kam nicht mehr in Frage, weil ich nicht mehr richtig laufen konnte. Und so musste ich mich mit einem sehr sitzenden Lebensstil und einer sehr sitzenden Karriere als Beraterin zufrieden geben. Im Jahr 2009 trat ich in eine Beratungsfirma ein und war sofort mit der Beratung von CEOs und internationalen Unternehmen auf höchster Ebene hier in Paris betraut. Während meiner Arbeit habe ich Yoga genutzt, um mich von meinem Unfall zu erholen, und es hat meine Gesundheit wirklich verbessert. Ich begann, kleine Gruppen von Freunden zu unterrichten, junge Hochschulabsolventen, die in Banken oder in der Beratung arbeiteten und unter Rückenschmerzen und Schlafstörungen litten. Eines Tages war ich bei einem meiner Kunden, dem CEO von KPMG in Frankreich. Wir bereiteten uns auf seine Aktionärskonferenz vor, und er bat mich, ihm einige Tipps zu geben, damit er sich besser konzentrieren und seine Haltung verbessern kann. 10 Minuten lang ließ ich ihn einige Atemtechniken und ganz einfache Körperübungen durchlaufen, um seinen Rücken zu entlasten und seine Atmung und Konzentration zu verbessern. Mir wurde klar, dass all die Präsentationen, die ich in den letzten sechs Jahren für ihn geschrieben hatte, nicht die gleiche Wirkung hatten wie diese 10 Minuten effizienter und praktischer Techniken! Da wurde mir klar, dass ich etwas in größerem Maßstab tun musste. Mit dem Segen meines Chefs und der Zusicherung, dass er mein erster Kunde sein würde, sobald ich bereit war, buchte ich einen Flug nach Bangalore und ging zu einem Yogalehrer, der auf therapeutisches Yoga spezialisiert war. Ich bildete mich knapp zwei Monate lang bei ihm aus und erhielt mein Lehrerzertifikat. Als ich 2015 nach Hause kam, habe ich als Erstes die wichtigsten Spannungen und Schmerzen ermittelt, unter denen die Mitarbeiter bei der Arbeit litten. Ich habe diese identifiziert und versucht, sie mit Yoga-Positionen und -Techniken zu verbinden, die helfen würden und die ohne Umziehen oder Schwitzen angepasst und angewendet werden können und die man am Schreibtisch ohne Matte machen kann. Ich arbeitete mit Physiotherapeuten und Neurowissenschaftlern zusammen, um Yoga an den Corporate Lifestyle anzupassen: keine Matte, kein Umziehen, keine Chakren. Die YOGIST-Methode war geboren.
red. Können Sie sagen, was der YOGIST Lifestyle ist? Die Herausforderung besteht darin, nur drei kurze Sätze zu verwenden.
Vuccino. YOGIST lehrt die Mitarbeiter, während der Arbeit einfache und regelmäßige Pausen für Geist und Körper zu machen. Augenmüdigkeit, Ischiasschmerzen, Schmerzen im unteren Rückenbereich, Sehnenscheidenentzündung in der Hand, Stress, Müdigkeit oder Schlaflosigkeit…: Die geistigen und körperlichen Pausen von YOGIST richten sich gegen die Übel der modernen Arbeit. Der Ansatz und die Methode von YOGIST – Well at Work zielt darauf ab, die schädlichen Auswirkungen des modernen Arbeitslebens wie Stress, sitzende Lebensweise, Bildschirmarbeit oder repetitive Bewegungen zu verhindern, um Ihnen und Ihren Teams zu helfen, gesund und effizient zu bleiben: das ist unsere Mission und die neue Priorität für Unternehmen im Covid-Zeitalter. Sie bietet auch die Möglichkeit, Wellness als strategischen Bestandteil in die Unternehmensführung zu integrieren.
red. Wir verstehen, dass Ihre Methode sehr viel mit Stressabbau zu tun hat. Was hat das mit Arbeit und Bürokultur in einer Welt zu tun, die immer weniger Zeit hat? Ist es nicht besser, einen Job zu leben und zu lieben … und deshalb keinen Stress zu empfinden?
Vuccino. Auch wenn die Menschen erzählen, dass sie immer weniger Zeit haben, haben sie immer Zeit, sich um ihre Gesundheit zu kümmern. Aber auch das stimmt: Sie können sich nicht so viel Zeit nehmen, wie sie gerne würden. Deshalb haben wir unsere Methode mit kurzen Übungen aufgebaut, die auf bestimmte Schmerzen und Körperteile abzielen. Zweitens: Ein Job, den man liebt und lebt, ist keine Garantie dafür, dass man keinen Stress oder Schmerzen im Bewegungsapparat hat! Auch wenn ein Verkäufer gerne mit seinen Kunden zu tun hat und deshalb den ganzen Tag auf den Beinen ist, oder ein Manager seinen Job mag, aber lange in einer Besprechung sitzt, wird ihn das nicht vor körperlichen Schmerzen bewahren. Hier kommen wir ins Spiel, um ihre Lebensqualität am Arbeitsplatz zu verbessern. Vor der Covid-Krise litten 83 % der Arbeitnehmer unter Muskelschmerzen und Ermüdungserscheinungen im Büro. 70 % von ihnen haben das Gefühl, dass sich diese Verspannungen verschlimmert haben, während sie von zuhause aus arbeiten. Wenn Sie diese Verspannungen ignorieren, erhöhen Sie die Abwanderung. Halten Sie Ihre Mitarbeiter am Arbeitsplatz oder im Homeoffice gesund und glücklich, denn das ist der beste Weg, sie langfristig zu binden.
red. Was ist mit den Unternehmen, Ihren Kunden? Die Unternehmen müssen immer noch Zeit spenden … zögern Sie da nicht?
Vuccino. Die Mitarbeiter der heutigen Zeit vernachlässigen ihren Körper, schaden ihrer Gesundheit und ihrer Produktivität und geben letztlich ihrem Unternehmen die Schuld. Ich denke, die Unternehmen haben längst verstanden, dass Investitionen in die Menschen eine Garantie für den Wohlstand ihres Unternehmens sind. Wie Richard Branson sagte: „Kümmere dich um deine Mitarbeiter, dann kümmern sie sich auch um deine Kunden“! Den Mitarbeitern zu helfen, ihre Schmerzen zu verringern und produktiver zu sein, kann für die Arbeitgeber keine Zeit- und Geldverschwendung sein. Es ist schließlich Teil ihrer Soft Skills und ein zunehmender Teil der sozialen Verantwortung der Unternehmen. Die Verringerung von Fluktuation und Fehlzeiten, die auf körperliche oder geistige Beschwerden zurückzuführen sind, sollte eine Priorität bei den Investitionen in die Personalabteilung sein.
red. Haben Sie einige wirklich großartige Unternehmen, die mit Ihren Konzepten arbeiten?
Vuccino. Wir sind ein sehr kleines Team, aber wir arbeiten mit vielen Unternehmen aus verschiedenen Bereichen zusammen, die unseren hochwertigen und einzigartigen Ansatz zu schätzen wissen. Wir sind sehr stolz darauf, dass LVMH, AXA Insurances, Sanofi, Orange und Credit Agricole YOGIST weltweit einsetzen, um ihren Teams zu helfen, gut zu arbeiten.
red. Ihr Buch „Yoga im Büro“ – so lautet zumindest der deutsche Titel – ist eine tolle Lektüre. Haben Sie eine kurze Version im Internet … um mit einigen Techniken zu beginnen?
Vuccino. In den letzten Jahren haben wir einen digitalen Bodyguard entwickelt, der Sie daran erinnert, während der Arbeit eine geistige oder körperliche Pause einzulegen: den Yogist Chatbot, den Sie hier auf Englisch auf yogist.io ausprobieren können! Beantworten Sie dem Chatbot 3 Fragen und Sie erhalten Zugang zu einer geführten Videoübung, die 2 Minuten dauert, auf Ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist und die Sie sofort an Ihrem Schreibtisch oder auf Ihrem Smartphone durchführen können. Er erinnert Sie daran, sich regelmäßig zu bewegen und wählt dank eines Algorithmus, der Sie im Laufe der Sitzungen besser kennenlernt, die besten Übungen für Sie aus, um Muskelverspannungen zu lösen, sich zu konzentrieren oder zu entspannen.
red. Ein weiterer Aspekt … nutzen Unternehmen die Umsetzung des YOGIST-Programms für ihr Employer Branding?
Vuccino. Im derzeitigen Kampf um Talente ist es natürlich entscheidend, Talente zu gewinnen und zu halten. Es ist natürlich ein Wettbewerbsvorteil, wenn Sie Ihren Teams und Bewerbern zeigen, dass Sie sich um sie kümmern, und zwar auf eine umfassendere Art und Weise als die Konkurrenz oder als das Gesetz Sie zwingt.
red. Sehen Sie eine Möglichkeit, den YOGIST Lifestyle auf digitaler Basis anzubieten? Das heißt, unterrichten Sie online?
Vuccino. Ja, natürlich! Das ist bereits der Fall. Seit dem Beginn der Covid-Krise werden 100 % der YOGIST-Programme online angeboten, sowohl für Remote Worker, die atmen und sich bewegen müssen, als auch für ihre Manager, die ihre Teams animieren müssen. Wir arbeiten durch:
- Online-Webinare und Teambuildings zur Sensibilisierung, oft überraschend während einer Teambesprechung
- 6-monatige Live-Schulungsprogramme, an denen die Mitarbeiter jede Woche über Zoom oder Teams teilnehmen können, mit jeweils unterschiedlichen Zielen und Themen
- unser digitaler Bodyguard und unsere E-Learning-Programme
- unsere „Train the Trainer“-Programme, bei denen wir Corporate Wellness Ambassadors ausbilden, die in ihren Teams tätig werden können. Inmitten von Covid haben wir sogar die Personalverantwortlichen der Ungarischen Nationalbank geschult!
red. Haben Sie ein Lebensmotto?
Vuccino. Üben… und alles wird gut!
red. Vielen Dank für das Gespräch.
Vuccino. Ich danke Ihnen! Es war mir eine große Freude, mich mit Ihnen über YOGIST-Well At Work auszutauschen. Mehr Informationen auf unserer Website www.yogist.com.
